Freitag, 22. Januar 2010

Pat Methenys „Orchestrion“- CD – was bringt der Griff in die Vergangenheit der Musikinstrumente?


Setzkasten mit Winkelhaken und vier Satzzeilen (Foto: Willi Heidelbach, Wikipedia)

Es gibt Buch-Liebhaber, die sind immer wieder fasziniert von der handwerklichen Anmutung und dem künstlerischen Wert von Büchern, die im Buchdruck mit noch echten Bleilettern und in historisch markanten Schriften gesetzt bzw. gedruckt sind. Dessen ungeachtet hat sich für nahezu die gesamte Buchproduktion seit 1986 längst der Computersatz durchgesetzt, und Bleisatz und Buchdruck wurden zu charmanten Nischenverfahren für Buchkunst-Sammler. So hergestellte Bücher strahlen das Flair von Kunst, Handwerkskunst und Wertigkeit aus – aber sind die so publizierten Texte bessere Literatur als computergesetzte?

An dieses Buchdruck-Thema musste ich denken, als ich die aktuelle CD „Orchestrion“ des Gitarristen und Komponisten Pat Metheny in der Hand hielt. Metheny, sonst digital orientierter Sound-Tüftler und bekannt für seinen Drang, in immer neue kompositorische und stilistische Gefilde vorzustoßen, wandte seinen Blick zurück in die Instrumenten- und Musikautomaten-Geschichte.

Im 19. Jahrhundert hatten ein paar Tüftler im Schwarzwald und in Sachsen monströse mechanische Musikinstrumente entwickelt, die den Bläserklang eines ganzen Orchesters wiedergeben konnten. Die Ungetüme standen in Hotelhallen und anderen großen Sälen, sie wurden erst per Kurbel-Antrieb in Gang gesetzt, später mit Motorkraft, und was sie spielen sollten, gaben ihnen Lochkarten vor. Im frühen 20. Jahrhundert gelang es den Instrumentenerfindern sogar, eine oder mehrere Geigen einzubauen, die mechanisch gestrichen wurden. Die Erfindung der Schallplatte war dann des Orchestrions rascher Tod.

Nun versuchte Metheny, den Toten zu nutzen, um dessen Mörder attraktiver zu machen, ließ von einem kleinen Handwerksbetrieb extra für seine Zwecke ein Orchestrion bauen, konzipierte eine Musik, bei der dieses Orchestrion von seiner Gitarre elektronisch angesteuert wird (ein Meisterstück der Mechatronik) und nahm eine – ja! – Schallplatte (CD) auf!

Mit diesem „Orchestrion“-Projekt reaktiviert Metheny also - um bei der Typografie-Analogie zu bleiben - „Bleisatz“ und historischen „Buchdruck“ in einer für mich fragwürdigen Weise. Bei seinem Orchestrion-Projekt geht der Gitarrist nämlich vor wie ein moderner Computersetzer, der zunächst einmal ein kompliziertes elektromechanisches Instrument bauen lässt, um mit dessen Hilfe dann computergesteuert die Bleilettern von Mini-Robotern mechanisch aus dem Kasten zu balancieren und sie Zeile für Zeile in das Satzschiff hineinzusetzen. Wenn man unvoreingenommen und ehrlich ist: Das wirkt eher umständlich und anachronistisch als kreativ.

Angesichts der „Orchestrion“-CD staunt man, das Hören kann Spaß machen und besonders fasziniert ist man, wenn man – beispielsweise im Internet oder bei Konzerten während der dazugehörigen Tournee – dazu noch sieht, wie rund um den solo spielenden Gitarristen wie von Geisterhand bewegt die vielen Einzelteile des Orchestrions – von Flaschen bis Violinen, von Trommeln bis zum Piano – erklingen.

Ob ein besonderer künstlerischer Wert entsteht, sollte jeder Musikfreund für sich selbst entscheiden.

Mathias Bäumel

Montag, 18. Januar 2010

Zehntausend Schritte – die ersten zehn Jahre der ungarischen Kult-Rockband Omega


Am 23. September 1962 spielte die legendäre ungarische Band das erste Konzert unter ihrem eigenen Namen - wie alles begann: Die ersten zehn Jahre der Band


János Kobor 2007 (Foto: omega.hu)
Fan-Foto von etwa Ende 1971 (Archiv M. B.)

200 bis 400 Euro muss man schon berappen, wenn man ein Original ergattern will, und da ist noch nicht klar, ob man eins ranorganisieren kann – die Rede ist von der aller ersten LP der ungarischen Kultrockband Omega, die 1968 unter dem Titel „Omega Red Star“ bei Decca in London veröffentlicht worden war. Als diese Platte erschien, hatte die Budapester Rockband schon einige Jahre auf dem Buckel, denn gegründet wurde Omega während ihres ersten offiziellen Konzertes am 23. September 1962 im Universitätsklub der Technischen Hochschule (heute längst Universität) Budapest. Die Besetzung damals: László Benkõ (keyboards), János Kóbor (Gesang, Gitarre), András Kovacsics (Gitarre), István Varsányi (Bass), Péter Láng (Saxophon) und Tamás Künsztler (Schlagzeug). Omega, die damals ihren Namen von einem kurzentschlossenen Plakatmacher verpasst bekamen, der nicht so recht wusste, wie er die noch namenlose Gruppe ankündigen sollte, gehört damit gegenwärtig zu den ältesten noch aktiven Rockbands der Welt – die Rollings Stones, deren Gründungsdatum durch das Konzert im Marquee-Klub am 12. Juli 1962 markiert wird, sind nur etwa zwei Monate älter.

Dabei reicht die Omega-Vorgeschichte noch weiter zurück. Bereits 1959 hatten Kóbor, Kovacsics, Laux und Varsányi am Attila-József-Gymnasium sowie Benkö, Láng und Künsztler am Sándor-Petöfi-Gymnasium Schülerbands gegründet, die innerhalb Budapests herumtingelten; das Konzert am 23. September 1962 war dann so etwas wie ein Sich-zusammen-Finden.

In den Jahren danach wechselte die Besetzung und konsolidierte sich. Laux kam und ersetzte Künsztler, die bereits durch TV-Auftritte bekannte Zsuzsa Koncz gehörte kurzzeitig zu Omega, bevor sie zu Illés wechselte, als Sängerin stieg Mari Wittek ein, für Láng kam erst der Saxofonist László Harmath, der 1964 von Tamás Somló ersetzt wurde. Als Mari Wittek 1966 die Band verließ, wurde Kóbor Frontmann und Hauptsänger. Und 1967 schließlich wurde Varsányi zur Armee eingezogen und Tamás Mihály übernahm die Bassgitarre. Schließlich stieg noch im selben Jahr Gábor Presser ein, ein Jahr später gingen Kovacsics und Somló eigene Wege, mit György Molnár kam der neue Gitarrist. Seit 1967 gehörte noch eine junge Dame zum Team, die damalige Studentin Anna Adamis als Texterin, die das erste Jahr gezwungen war, unter dem Pseudonym István S. Nagy zu arbeiten, da Studenten als Texter nicht zugelassen waren.

Nach mehreren personellen Veränderungen hatte sich 1967 die klassische Omega-Besetzung herausgebildet: József Laux (dr), Tamás Mihály (bg), György Molnár (g), Laszló Benkö (tp, keyb), Gábor Presser (org, voc), János Kóbor (solo-voc).
Schon Ende 1964 war der Eötvös-Klub zu Omegas Hausklub geworden – damit war die Band in Ungarn ständig präsent. Ihren ersten Publicity-Höhepunkt erreichte Omega 1966, als hintereinander weg ihre ersten vier Singles erschienen, allesamt Einspielungen bekannter „westlicher“ Rock- und Pop-Hits: „Paint it black / Bus Stopp“, „Bend it / I put a spell on you“, „Little man / What now my love“ und „Sunny / No milk today“.

1967 hatten sie dann gemeinsam mit Zsuzsa Koncz einen Drei-Minuten-Auftritt im Film „Ezek a fiatalok“ („Ach, diese Jugend“) und sie wurden als Begleitband bei den Auftritten von Zsuzsa Koncz und Zsuzsa Pálos zum Tanzliedfestival gebucht.

Doch der entscheidende Impuls für den Durchbruch ging von einem gemeinsamen Konzert der Spencer Davis Group mit Traffic und mit Omega in Budapest aus. Daraufhin nämlich wurde Omega zu einer England-Tournee eingeladen. Die Ungarn gaben unter anderem Konzerte in London und hatten einen Auftritt im BBC-TV. Der Manager der Spencer Davis Group, John Martin, arrangierte eine Albumproduktion beim Londoner Label Decca, das der Gruppe den Namen „Omega Red Star” verpasste. Die Arbeiten an dem Album dauerten drei Tage lang, dann musste János Kóbor zurück nach Budapest, um Examensarbeiten zu schreiben. Das Album wurde in England klangtechnisch nie fertig abgemischt, Decca veröffentlicht es so, wie der Arbeitsstand gerade war, nämlich mit den Lead Vocals von Tamas Mihály unter dem Titel „Omega Red Star from Hungary“. Eine der später meistgesuchten Rockplatten aus dem Ostblock hatte das Licht der Welt erblickt, aber bei objektiver Beurteilung wird man einräumen, dass die späteren Omega-Platten künstlerisch weitaus hochkarätiger werden sollten.

Später in Ungarn wird das „Red Star“-Album fertiggestellt, aber nur einige Songs erschienen auf Singles.
Nach dem Erfolg in London veröffentlichte dann Omega die erste ungarische LP beim Label Qualiton unter dem Titel „Trombitás Frédi és a rettenetes emberek“ (Trompeter Fredi und die verrückten Leute) – für viele Rockfans aus der DDR die allererste „Ost“-Rock-Platte, die man ernstnehmen konnte. Die Platte, die auf das „Red Star“-Material zurückgriff, aber in ungarisch eingesungen wurde, verkaufte sich allein im kleinen Land Ungarn noch im selben Jahr über 100.000 mal und bescherte der Gruppe die erste goldene LP. Von da ab war Omega Kult. Alles weitere konnte den Kult nur noch festigen und erweitern.
Mit den LPs „10.000 Lépes“ (Zehntausend Schritte; 1969), „Ézakai országút“ (Nächtliche Landstraße; 1970) und der legendär in Aluminium verpackten „Elö Omega“ (Omega live; 1972) eroberte die Band einen Platz in Europas Rock-Olymp.
Die Ungarn-Rocker tourten durch Spanien, Finnland, Jugoslawien und Frankreich, gewannen mit „Gyöngyhajú lány“ (eigentlich wörtlich: Perlenhaariges Mädchen) Preise beim Barbarella-Festival in Palma de Mallorca und beim Yamaha-Festival in Tokio.

Im Zusammenhang mit der Preisverleihung veröffentlichte die japanische JVC das Stück als Single. Da allerdings nicht die ganze Gruppe nach Japan flog, wurde die Single mit Hilfe japanischer Studiomusiker eingespielt – als Interpret wies die Plattenhülle „János Kóbor und die halbe Omegaband“ aus.
Nur wenige Rockfans heute wissen, dass damals Omega auch andere Musiker inspirierte.

Die Melodie von „Gyöngyhajú lány“ (von Omegas LP „10000 Lépés“) wurde Anfang der 70-er Jahre in der DDR zu Frank Schöbels „Schreib es mir in den Sand“. Und auch die Scorpions hatten sich für ihren Welthit „White Dove“ bei diesem Omega-Song bedient.

Im April 1971 verließen Gábor Presser und József Laux die Band und gründeten die Supergroup Locomotive GT. Auch die Texterin Anna Adamis, mittlerweile Ehefrau von Laux, schrieb fortan für diese Band. Bei Omega stieg als Texter dafür Kóbors Schulfreund Péter Sülyi ein. Für Drummer Laux kam Ferenc Debreceni. Fast logisch, dass dann auf der 72-er LP „Elö Omega“ ein Song „Hütlen barátok“ (Untreue Freunde) enthalten war.

Das Erscheinen dieser LP war in dieser Weise eigentlich nicht geplant. Denn ursprünglich nahm Omega das Album „200 évvel az utolsó háború után“ (200 Jahre nach dem letzten Krieg) auf. Das aber wurde zensiert, wohl vor allem, weil die düstere Zukunftsvision von rein funktionalen Menschen („Schöne neue Welt“ und „Metropolis“ lassen grüßen!) im Titelsong den ungarischen Kultur-„Oberen“ nicht ins Konzept passte.

Stattdessen nahm die Band in Eigeninitiative eben das Album „Elö Omega“ auf – die LP mit dem berühmten Aluminium-Cover. Der Titel der LP („elö“ heißt auf deutsch „lebendig“, aber auch „live“) ist dabei doppeldeutig: Außer der Tatsache, dass es sich hier um einen Tournee-Mitschnitt handelt, demonstriert Omega mit der LP-Benennung, dass die Band trotz der Trennung von Presser und Laux weiterspielen („-leben“) wird – von da an viele, viele Jahre bis heute. Doch das ist dann eine völlig andere Geschichte...

Mathias Bäumel